PERSPEKTIVEN am Morgen
von Dr. Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden
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17. Juni 2025
Liebe Leserinnen und Leser,
Europas Unternehmen investieren in Ausrüstung und Forschung, Chinas Einzelhandel wächst dank Feiertagen und staatlicher Hilfen, und die Schweiz steuert angesichts schwacher Konjunktur und fallender Inflation auf einen Nullzins zu.
Europäische Konzerne zwischen KI-Offensive und Dividendenstärke
Nichtfinanzunternehmen des STOXX 600 investierten im vergangenen Jahr knapp 600 Milliarden Euro in Ausrüstungsinvestitionen, gut 200 Milliarden Euro flossen in Forschung und Entwicklung, rund 140 Milliarden Euro in Fusionen und Übernahmen. Für Dividenden wendeten sie 325 Milliarden Euro auf, weitere 140 Milliarden für Aktienrückkäufe. Wenngleich sich viele Konzerne derzeit aufgrund des Handelsstreits noch mit Investitionen zurückhalten, erwarte ich, dass Ausrüstungsinvestitionen gerade in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Digitalisierung, Verteidigung und Infrastruktur zunehmen werden. Ausschüttungen dürften ebenfalls Top-Priorität bleiben. Im laufenden Jahr könnte das Volumen von Dividenden und Aktienrückkäufen inklusive Finanzsektor 750 Milliarden Euro betragen – das entspricht einer Ausschüttungsrendite von rund fünf Prozent. Die Firmen des S&P 500 kommen im Schnitt auf lediglich rund vier Prozent. Dies macht Europa für ausschüttungsinteressierte Anleger weiterhin attraktiv.
Gemischte Konjunktursignale aus China
Der chinesische Einzelhandel steigerte seinen Umsatz im Mai um 6,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr und übertraf damit die Erwartungen. Es war das stärkste Wachstum seit Dezember, gestützt durch Feiertagsausgaben und staatliche Hilfen. Die Industrieproduktion legte um 5,8 Prozent zu, blieb jedoch hinter den Prognosen zurück – belastet durch eine schwächere Nachfrage aus dem Ausland infolge amerikanischer Strafzölle. Während die Investitionen in Infrastruktur und Industrie wuchsen, setzten die Ausgaben für Immobilien ihren Abwärtstrend fort und sanken um 10,7 Prozent. Die Immobilienpreise fielen im Jahresvergleich um 3,5 Prozent – dies ist der geringste Rückgang seit April, was auf erste Erfolge staatlicher Stabilisierungsmaßnahmen hindeutet. Angesichts der gemischten Konjunkturdaten bleibt fiskalische Unterstützung entscheidend. Trotz einer vorübergehenden Einigung im Handelskonflikt bleiben die Zölle hoch. Zudem könnten Lieferengpässe beim Öl infolge des Konflikts zwischen Israel und dem Iran das Wachstum bremsen – China ist der größte Abnehmer von Öl aus der Region.
Aktienkultur: USA weit vor EU und Japan
US-Haushalte investieren inzwischen fast die Hälfte ihres Vermögens direkt oder indirekt in Aktien. Zum Vergleich: In Japan liegt der Anteil bei nur 13 Prozent, in Großbritannien und der EU jeweils bei zehn Prozent. Ein wesentlicher Grund: Der Anteil der Altersvorsorge ist in den USA gestiegen. Im weitverbreiteten 401(k)-Plan ist der durchschnittliche Aktienanteil von 66 Prozent im Jahr 2013 auf inzwischen über 70 Prozent gestiegen – bei jungen US-Amerikanern teilweise sogar auf 90 Prozent. Insgesamt halten US-Haushalte 38 Prozent aller US-Aktien direkt, über Fonds und Altersvorsorge ist der Anteil noch deutlich höher. Diese strukturelle Nachfrage, die für das laufende Jahr auf ein Volumen von 425 Milliarden US-Dollar geschätzt wird, dürfte die Bewertungen am US-Aktienmarkt langfristig stützen.
Nullzins voraus: Warum die Schweiz erneut an der Zinsschraube dreht
Die Schweizerische Nationalbank dürfte den Leitzins in dieser Woche weiter senken, während andere große Notenbanken wie die Fed ihren Leitzins wohl nicht anpassen werden. An den Terminmärkten ist eine Senkung um 0,25 Prozentpunkte auf null Prozent bereits vollständig eingepreist, eine weitere Senkung bis Jahresende gilt als wahrscheinlich – damit rücken Negativzinsen wieder in den Bereich des Möglichen. Hintergrund ist die rückläufige Inflation: Im Mai lag die Teuerung im negativen Bereich, unter anderem wegen des starken Schweizer Frankens, der importierte Waren verbilligt hat.
Gleichzeitig trübt sich die Konjunktur ein: Der Einkaufsmanagerindex der Industrie fiel im Mai deutlich auf 42,1 Punkte und signalisiert damit eine anhaltende Schwäche. Trotz dieser Entwicklungen bleibt der Schweizer Franken angesichts globaler Unsicherheiten ein gefragter „sicherer Hafen“.
Wirtschaft in der Schwebe – Börse im Höhenflug
Rekordstände beim DAX – trotz geopolitischer Spannungen, schwankender Konjunkturprognosen und angekündigter US-Zölle. Wie passt das zusammen? Im Gespräch mit Finanzjournalistin Jessica Schwarzer analysiere ich die aktuelle Lage von Wirtschaft und Märkten.
Zahl des Tages: 40.000.000
Für viele Medien gilt: Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Denn was würde die Leser mehr interessieren als Crashs und Katastrophen? Tatsächlich scheint sich der Trend zur negativen Berichterstattung sogar verstärkt zu haben. Pietro Nickl vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin untersuchte gemeinsam mit Kollegen 40 Millionen englische Online-Schlagzeilen aus den vergangenen 20 Jahren. Die Wissenschaftler stellten einen Stilwandel fest: Im Wettbewerb um Aufmerksamkeit werden die Überschriften immer länger und negativer. Zugleich versuchen Medien zunehmend, durch Pronomen wie „ich“ und „du“, den Einsatz von Fragewörtern und eine emotionale Tonlage schon in der Schlagzeile Neugier zu wecken – und zum Klick auf den Artikel anzuregen.
Sehen Sie heute das Positive.
Herzlichst

Ihr Ulrich Stephan
Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden
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